Am Sonntag ist Europawahl. Es ist wohl die Wahl, die am ominösesten für die meisten ist. Das merkt man an der Wahlbeteiligung, die 2019 erstmals seit 2004 knapp über 50 % lag. Gleichzeitig haben nach einer anderen aktuellen Umfragen die meisten zwar negative Bezüge zur EU, halten sie aber dennoch für wichtig. 72 % sehen die EU als zu bürokratisch an und gleichzeitig halten sie 58 % für notwendig. Das sind die beiden Aussagen mit der höchsten Zustimmung. Knapp über 50 % halten die EU-Mitgliedschaft Deutschlands für gut, gleichzeitig haben nur 24 % der Deutschen das Gefühl, dass die EU die deutsche Lebensrealität versteht.
Nun dürfen erstmals auch Menschen unter 18 wählen. Ab 16 ist man wahlberechtigt. Und die Jugendlichen sind motiviert. Nach aktuellen Umfragen wollen weit über 60 % der unter 30-jährigen wählen gehen. Respekt. Gerade die, die das erste Mal wählen dürfen sind hochmotiviert. Jetzt sind wir endlich dran, ist das Lebensgefühl. Obwohl die Jugendlichen sich größtenteils schlecht repräsentiert sehen, sind sie doch der Meinung, dass die EU wichtig ist, sie kennen es schlicht nicht anders. Sie sind in einem Europa aufgewachsen, das über die Grenzen zusammen arbeitet. Sie problematisieren diesen Umstand also weit weniger, als wir, die wir es auch noch anders kennen. Und das ist gut.
Gleichzeitig sind auch Jugendliche keine homogene Gruppe. Man darf also nicht den Fehler machen, die junge Generation über einen Kamm zu scheren, was Klimapolitik und andere Themen angeht.
Nico Semsrott, Deutschlands traurigster Komiker nach eigener Aussage, hat im April ein Bühnenprogramm zu seiner 5-jährigen Tätigkeit im EU-Parlament auf youtube veröffentlicht. Ich finde das gerade vor der EU-Wahl sehr sehenswert. Wenn ihr die Zeit noch habt, dann schaut es euch unbedingt an. Er beschreibt dort sozusagen seinen Weg vom Idealismus eines Neuparlamentariers in die Resignation. Nach 5 Jahren EU-Parlament kandidiert er nicht mehr. Ich finde er beschreibt sehr glaubwürdig die Zeit, die er dort zugebracht hat. Und man merkt ihm auch an, dass es ihm nach 5 Jahren reicht. Gleichzeitig fordert er auf, vom Wahlrecht Gebraucht zu machen. Demonstrieren und Wählen sind seiner Meinung nach die beiden Mindestanforderungen an alle Demokrat*innen. Damit lässt sich etwas bewegen. Und er sagt sehr offen: wenn wir das nicht machen würden, wäre es noch viel schlimmer. Ich fand das einerseits erhellend, andererseits ermutigend. Europa scheint weit weg und man hört und liest viel und davon ist wenig positives dabei. Doch wenn wir uns abwenden, dann passiert genau das, was viele eh schon glauben, dass „die da oben“ machen, was sie wollen. Und so einfach sollten wir es niemandem machen.
Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist, so sagt es Jesus. Er fordert damit auch zu einem politischen Lebensstil auf. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist, das heißt auch: gebt dem Kaiser nur das, was des Kaisers ist. Man könnte das – nein ich meinen man muss das als klare Wahlaufforderung deuten: Uns interessiert, was ihr tut, wir lassen euch nicht aus dem Blick. Hinterher meckern oder empört sein ist einfach. Wir sollten wenigstens den Mindeststandard erfüllen: wählen gehen und wenn nötig auch auf die Straße. Das tut nicht weh, es kostet kaum Zeit und es bewirkt mehr, als wir vielleicht glauben. Überlassen wir nicht den Radikalen das Feld, die am Ende von Nicht-wähler*innen am meisten profitieren. Also, geht wählen am kommenden Sonntag.
Für diese Woche wünsche ich euch: habts Zuversicht und bleibts gsund, nur diese Woche. Für die kommende sorgen wir später.