Wir leben in schwierigen Zeiten, und jammern auf hohem Niveau. Irgendwo zwischen diesen beiden Polen bewegt sich unser Leben. Auf der einen Seite haben wir Probleme mit aufkommenden rassistischen und menschenverachtenden Tendenzen, Kostensteigerungen für den täglichen Bedarf und der Frage, wie wir unser Leben gut leben und bezahlbar leben können, auf der anderen Seite geht es dem Großteil der Weltbevölkerung deutlich schlechter als den ärmsten unter uns. Doch das tröstet niemanden und das hat auch seine Berechtigung. Gleichzeitig finde ich es gut, dass wir uns weniger mit Existenzängsten herumschlagen müssen und uns Gedanken machen können über Themen wie Gleichberechtigung und Klimaschutz. Wenn wir es denn wollen. Mit dem wollen schaut es da manchmal schlecht aus. Das zeigt in diesen Tagen die Verabschiedung des neuen Selbstbestimmungsgesetztes durch den deutschen Bundestag. Dabei schreien die am lautesten, die sich sonst gerne auf das Grundgesetz berufen, wenn es um Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit geht. Der grundgesetzlich verankerte Schutz der sexuellen Identität hat nichts damit zu tun, ob mir eine Identität gefällt oder nicht. Und meine Freiheit wird auch nicht dadurch beschnitten, dass andere mehr Freiheit bekommen. Es geht also am Ende um eine rein geschmackliche Frage. Will ich etwas oder will ich es nicht.
Doch bei Fragen der persönlichen Entfaltung und Freiheit kann es nur ein Argument geben: schränkt meine Haltung die Freiheit anderer ein? Und während es mich überhaupt nicht einschränkt, wenn sich andere Menschen als non-binär oder wie auch immer identifizieren. Die Freiheit dieser Menschen wird jedoch massiv eingeschränkt, wenn dieses Gesetzt nicht kommt. Deshalb ist es gut, dass dieses Gesetz eingeführt wird, damit Menschen das, was sie in sich fühlen, auch offiziell tragen können, einen anderen Namen, ein anderes Geschlecht und dass ihnen auch in diese Persönlichkeit begegnet wird. So kommen Menschen aus der Nische, aus der Verdrängung, denn sie haben mit dem inneren Kampf oft schon genug zu tun.
Als Christ halte ich es für meine Pflicht, dafür einzustehen, dass Menschen sich frei entwickeln können. Einer der Kernsätze des Evangeliums ist der Ausspruch des Paulus „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“. In seinem Brief an die Galater wendet sich Paulus gegen die dort auftretenden Lehrer, die die Ansicht vertreten, dass man zunächst Jude sein müsse, bevor man sich taufen lässt. Paulus sieht darin die Gefahr, dass das Befreiende des christlichen Glaubens vergessen wird. Der christliche Glaube kann frei machen, wenn man sich bewusst macht, dass dieser Glaube auch über das hinaus weist, dass es immer auch anders sein kann, als es zunächst scheint.
Und das ist etwas, von dem ich das Gefühl habe, dass es uns zunehmend abgeht. Wir fallen entweder zurück in ältere Zeiten oder wir waren in Wahrheit noch nie weiter. Dabei kennen wir Sprichtworte wie „Jeder Jeck ist anders“, „Jedem Tierchen sein Pläsierchen“ oder andere. Am Ende sagen sie nichts anderes aus, als dass wir alle verschiedene sind und diese Verschiedenheit uns reich macht. Wir müssen jedoch mit ihr umgehen. Sie ist kein Selbstläufer.
Deshalb tut die Erinnerung immer wieder gut, dass wir zur Freiheit befreit sind, wenn wir wieder einmal der Gefahr anheim fallen, uns von selbstgemachten innern oder auch äußeren gesellschaftlichen Mechanismen versklaven zu lassen. Auch dafür gibt es ein Sprichwort: Gönnen können. Gönnen wir anderen doch die Freiheit, die wir uns selbst oft zu wenig gönnen. Vielleicht fällt es uns dann leichter, auch uns solche Freiheiten zu gönnen.
Denn wer gnädig ist zu sich selbst, der ist es auch leichter zu anderen. Und wer gnädig ist zu andere, der ist es auch leichter zu sich selbst.
So wünsche ich euch für die kommende Woche: Habts Zuversicht und bleibts gsund, nur diese Woche. Für die kommende sorgen wir später.