Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie doch.
Vor ein paar Wochen durfte ich einen ganz besonderen Menschen kennenlernen. Ich nenne sie hier heute mal Jenny. Jenny ist 5 Jahre alt. Die meisten von uns würden sagen, sie ist behindert. Ihre Mutter sagt: sie ist ein besonderes Kind, ein Kind mit Einschränkungen. Denn Jenny hat eine Hirnanlagestörung, das heißt, dass bestimmte Bereiche Ihres Gehirns unterentwickelt sind. Sie wurden genetisch einfach vergessen. Eine Laune der Natur, die die aufgeklärten und schlauen Wissenschaftler vor Rätsel stellt. Niemand weiß, wo der Defekt herkommt. Niemand hätte ihn durch eine genetische Untersuchung im Mutterleib feststellen können. Niemand hätte ihn verhindern können. Gott sei Dank.
Jenny spricht nicht, jedenfalls nicht so wie du und ich, sie kann kaum essen, weil die Kaubewegungen nicht so richtig funktionieren und sie läuft für ihre 5 Jahre einfach schlecht oder sagen wir besser: altersunangemessen. Warum? Weil alle gedacht haben, das mit den Augen wächst sich noch aus und niemand die Notwendigkeit sah, dass man da mal genauer hinschauen müsste. Heute hat sie eine Brille und schon funktioniert es mit dem Laufen. Sie hat bei 7 Dioptrin schlicht kaum etwas sehen können. Da würde ich mir mit Laufen auch schwer tun.
Natürlich bekommt Jenny alle möglichen Therapien. Denn sie soll ja vielleicht irgendwann mal halbwegs normal sein. Und da steht dieses Mädchen vor mir, schaut mich an und lächelt. Dann geht sie zu ihrer Abendroutine über. Sie bekommt ihre Sondennahrung, dabei läuft auf dem PC der kleine Maulwurf. Ich kann sehen und hören wie sie sich freut, wie sie mitgeht. Denn sie ist ein ganz normaler Mensch, mit Gefühlen, mit Bedürfnissen. Sie teilt sich mit, wenn sie sich freut und wenn sie sich ärgert. Wenn sie traurig ist oder müde, dann hängt der Kopf. Wenn sie sich freut, strahlen ihre Augen und ihr Mund. Sie reibt sich die Hände vor Freude. Da sitzen wir also auf dem Bett zusammen und schauen den kleinen Maulwurf. Und plötzlich neigt sie sich zur Seite und lehnt ihren Kopf an mich. Sie kannte mich keine 10 Minuten. Und doch hat sie mir auf ihre Weise bedeutet, dass sie sich freut, dass ich da bin.
Jenny ist ein ganz wertvoller Mensch. Sie ist ehrlich, wie ich keinen zweiten Menschen kenne. Ungebremst zeigt sie einem die Sympathie. Allerdings zeigt sie genauso ungebremst die Antipathie. Diplomatie fehlt in ihrem Werkzeugkasten. Und das ist gut so. Für sie zählt der Moment. Jetzt freue ich mich. Jetzt bin ich traurig, jetzt bin ich ärgerlich. 10 Minuten später ist der Ärger verflogen. Nachtragend sein fehlt ebenso in ihrem Werkzeugkasten. Jenny gibt zurück, was man ihr entgegenbringt an Schwingungen, an Emotionen.
Jenny ist ein ganz wertvoller Mensch. Sie ist keine Laune der Natur, sie ist ein von Gott geschaffenes Wesen. Natürlich stellen wir die Frage: warum musste sie so werden? Warum durfte sie nicht normal werden. Für Jenny stellt sich diese Frage nicht. Sie kennt ihr Leben nur so, wie es ist. Und da hat sie ihr Umfeld. Sie braucht Sicherheit in Beziehungen und bekommt sie durch Mutter und Bruder, durch die Kameradinnen und Kameraden im Kindergarten, durch ihre Bezugspersonen. Für sie zählt der Moment. Das hier und jetzt. Sie hat mich in kurzer Zeit zwei Dinge gelehrt bzw. mir ganz neu gezeigt:
Entscheidend ist das Hier und Jetzt, das heute. Was morgen ist, hat seinen Raum im morgigen Hier und jetzt. Sich darüber heute schon Gedanken zu machen ist sinnlos. Und das zweite: sei ehrlich zu deinen Mitmenschen und zu dir selbst. Hör auf dir und anderen etwas vorzumachen.
Wir sind alle Geschöpfe Gottes und wir sind alle Menschen mit Einschränkungen. Denn niemand von uns kann alles.
Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Diese Sorglosigkeit und Demut wünsche ich uns allen. Für heute wünsche ich euch, habts Zuversicht und bleibsts gsund, nur diese Woche. Für die kommende sorgen wir später.