„Ich kann es nicht mehr hören. Ständig durchhalten, durchatmen. Es hält sich doch niemand mehr an irgendwas“ So klagte mir jemand vergangene Woche sein Leid.
Einen Tag später konnte ich das gut nachvollziehen, denn mir erging es auf einmal genauso. Ich hörte einen Song zum Motto des 3. ökumenischen Kirchentages. Der fand vergangene Woche in Frankfurt und vielen anderen Orten größtenteils digital statt. Dort heißt es in einer Liedzeile: „weil so vieles im Argen liegt, braucht es ein Wort, das alle hält“. Das hat mich wütend gemacht. Unser Glaube ist soviel mehr als sich ständig an dem zu orientieren, was schief läuft, was im Argen liegt. Ja das Leben ist kompliziert, ja es gibt viel Leid, ja wir erleben das Tag für Tag. Und auch mir gelingt es zu selten, das zu sehen, was gut ist, was gelingt.
Dann denke ich an Jesus. Er sagt zum gelähmten: „Steh auf und geh, dein Glaube hat dir geholfen“. Er nimmt die Frau, die von allen gesteinigt werden sollte an, die Hand und richtet sie auf. Gott spricht zu Jona, der missmutig unter einem Baum hockt und frustriert ist. Er hat nicht bekommen, was er wollte. Ninive wurde von Gott verschont. Er richtet ihn auf. Bei Gott und Jesus wird nicht lamentiert. Da werden Perspektiven eröffnet. Wieso gelingt uns das so selten? Wieso sind wir groß darin, den Blick auf das zu lenken, was alles passieren könnte, statt das Leben geschehen zu lassen.
Die Antwort scheint mir auf der Hand zu liegen: Leben, das geschieht, Leben das ereignet, entgleitet unserer Kontrolle. Wir müssten loslassen. Zuschauen, was passiert. Kontrolle jedoch gibt Sicherheit. Ich denke, wir stehen uns oft selbst im Weg. Gleichzeitig ist es menschlich und zutiefst gesund, Kontrolle und damit Sicherheit zu wollen und zu haben.
Der offizielle Mottosong des Kirchentages ist ein anderer, als der, den ich zunächst gefunden habe. Eine Gruppe tanzender Menschen singt vom Hinschauen. Da heißt es im Refrain: „Schaut hin. Seht nach. Blickt durch. Mit offenen Augen. Schaut hin. Denkt nach. Geht los. Mit offenen Armen.
Da finde ich das wieder, was ich am christlichen Glauben faszinierend finde. Da finde ich wieder, was mich als 14-jährigen Jungen im Zeltlager so fasziniert hat. Das strahlt aus. Da war jemand, der hatte etwas, das ich vermisst habe und auch wollte. Ich habe es im Glauben gefunden. Und das erinnert mich immer wieder daran, den Blick hin zu lenken zu dem, was gut ist. Das gibt es ja. Es wäre unredlich, so zu tun, als wäre das Leben immer nur rosarot und wundervoll. Genauso unredlich ist es jedoch, immer nur das halbleere Glas zu sehen. Ich kann auf das schauen, was alles im Argen liegt. Oder ich kann das in den Mittelpunkt stellen, was gelingt. Ich kann die Schwächen meiner Kinder hervorkehren, oder ihre Stärken. Ich kann mit ihnen an ihren Schwächen arbeiten oder sie in ihren Stärken bestärken.
Ich will mich an dem orientieren, was Chancen bietet. Ich will mich auf das konzentrieren, was gelingt. Und daraus Kraft schöpfen.
Das ist manchmal verdammt schwer. Gerade in Coronazeiten. Und da fasse ich mich dann an die eigene Nase. Im Bestreben, dass alles so schnell wie möglich vergehen möge, schaue ich auch zu viel auf das, was besser laufen könnte. Da ist vieles schlecht gelaufen. Da läuft nach wie vor vieles daneben. Doch es geht voran. Es gibt Hoffnung.
Lasst uns uns auf die Hoffnung konzentrieren. Lasst uns das sehen, was gelingt, was gibt ist, womit wir schon arbeiten und leben können. Vieles ist schon da, woran wir uns freuen können. Das zu sehen, und uns daran zu freuen, das ist die Herausforderung.
Also, Schaut hin. Seht nach. Blickt durch. Mit offenen Augen. Schaut hin. Denkt nach. Geht los. Mit offenen Armen.
Für die kommende Woche wünsche ich euch: habts Zuversicht und bleibts gsund. Nur diese Woche, für die kommende sorgen wir später.